Tech-Ethik: Eckpfeiler des Produktmanagements
Als Produktmanager sind Sie der Wächter und moralische Kompass.
Ethik ist kein neues Konzept in der Technologie. Aber es nimmt seit Kurzem einen noch höheren Stellenwert ein. Jeden Tag hört man eine Story nach der anderen über Hacks, geknackte Passwörter oder noch Schlimmeres. Es sind Geschichten wie der Missbrauch von Facebook-Daten durch Cambridge Analytica, der Betrug bei Emissionstests durch Volkswagen, die Tatsache, dass Facebook so ziemlich alle Daten sammelt und dass Benutzer nach der Veröffentlichung der Betaversion von iOS 14 auf der Apple WWDC im Juni sehen konnten, welche Apps auf ihren Clipboards „herumspionieren“ (und wie oft). Das sind nur einige der größeren Storys der letzten paar Jahre. Es ist fast unmöglich, sich an alle zu erinnern.
Entwicklung von Produkten und Funktionen
Sind all diese Hacks, Datenschutzverletzungen und Aufdeckungen auf vorsätzliche Taten oder Nachlässigkeiten zurückzuführen? Nicht ganz. Wahrscheinlicher ist es, dass all diese Produkte mit guten Absichten entwickelt wurden. Bei der Entwicklung von Produkten und Funktionen versuchen Produktmanager – wie ich – ein Hauptziel zu erreichen: ein Problem für Benutzer zu lösen. Beim Lösen dieser Probleme wollen wir sicherstellen, dass wir unseren Benutzern ein gutes Erlebnis bieten können.
Wie können wir diese guten Absichten – das Anbieten eines möglichst guten Benutzererlebnisses – bei den oben genannten Beispielen finden? Werfen wir einen Blick auf das Beispiel, bei dem Apple auf Clipboards herumspioniert. Gibt es einen guten Grund für eine App, zu sehen, was auf Ihr Clipboard kopiert wurde? Nehmen wir einmal an, Sie haben etwas online bestellt und eine Versandbestätigung mit einer Tracking-Nummer in Ihrem E-Mail-Postfach erhalten. Sie kopieren sie und öffnen die mobile App des Versandunternehmens. Die App kann Ihr Clipboard scannen und sehen, ob die Inhalte einem bestimmten Tracking-Format entsprechen. Falls ja, kann die App Sie fragen, ob Sie das Paket manuell oder automatisch verfolgen möchten. Dies kann und sollte alles auf Geräteebene passieren, ohne dass Inhalte zur Analyse vom Clipboard an einen Server irgendwo anders gesendet werden müssen. Somit wird die Nutzung der App einfacher und es wird ein reibungsloseres Benutzererlebnis gewährleistet.
Andererseits kann es auch sein, dass die App so designt wurde, dass sie Ihr Clipboard scannt und die Inhalte zurück an einen Server sendet, der Ihre Informationen in einem Benutzerprofil speichert, das ohne Ihr Wissen erstellt wurde und ganz nach Belieben des App-Entwicklers verwendet wird. Oder die Informationen könnten sogar an andere Unternehmen verkauft werden.
Bei jeder Funktion, die in ein Produkt integriert werden kann, müssen Produktmanager sich fragen: „Wie kann diese Funktion missbraucht werden?“
Hier kommt das Konzept des Verhaltenscodex für Technologie ins Spiel. Bei jeder Funktion, die in ein Produkt integriert werden kann, müssen sich Produktmanager fragen: „Wie könnte diese Funktion eventuell missbraucht werden?“ Könnten Funktionen einer Dating-App missbraucht werden, um Nutzer zu verletzen oder zu stalken? Kann auf persönliche Informationen von Nutzern zugegriffen werden, um diese ohne Erlaubnis weiterzugeben? Kann Ihr Produkt genutzt werden, um Fehlinformationen zu verbreiten?
Produktmanager müssen sich für die Rechte der Kunden einsetzen und dabei gleichzeitig lernen, sich die verrücktesten Chaos-Situationen vorzustellen. Sie müssen Fehler und Lücken aufdecken und sich überlegen, wie diese ausgenutzt werden können, um Schaden anzurichten und Verbrechen zu begehen.
Warum ist die Tech-Ethik so wichtig?
Robert Baden-Powell, ein englischer Soldat und späterer Gründer und Inspirationsquelle der Pfadfinder-Bewegung, sagte: „Versuche, diese Welt ein bisschen besser zu verlassen, als du sie vorgefunden hast …“ Das Zitat geht noch weiter, aber diese paar Worte sind schon sehr aussagekräftig.
Wir sind nur für kurze Zeit auf diesem Planeten. Wir sollten versuchen, ihn für die nächsten Generationen besser zu hinterlassen, als wir ihn vorgefunden haben – das bezieht sich auf die Umwelt, Gesellschaft und die Produkte und Werkzeuge, die wir hinterlassen. Wenn Produktmanager Werkzeuge entwickeln, die Menschen schaden können, hinterlassen wir die Welt nicht besser als wir sie vorgefunden haben.
Wie können Unternehmen von der Ethik profitieren?
Vorteile bei der Einstellung neuer Mitarbeiter
Ein Verhaltenscodex in der Technologie und in Unternehmen kann auch geschäftliche Vorteile haben, beispielsweise bei der Personalbeschaffung. Unternehmenskultur ist mehr als eine Tischtennisplatte und Bier im Pausenraum. Menschen möchten in einem Unternehmen arbeiten, das ihren Werten entspricht, – vor allem jüngere Generationen. Nimmt ein Unternehmen eine harte Haltung zu einem Thema ein, egal um welches Thema oder welche Seite es sich handelt, macht sich das Unternehmen entweder beliebt oder wendet Kunden bzw. (potenzielle) Mitarbeiter von sich ab. Nicht selten teilt ein Tech-Experte einem Recruiter mit, dass eine bestimmte Richtlinie oder Partnerschaft des Unternehmens nicht mit den eigenen Werten übereinstimmt und sie/er das Gespräch deshalb nicht weiterführen möchte. Manche Mitarbeiter der größten Tech-Unternehmen haben Petitionen unterschrieben und gestreikt, um ihre Unternehmen dazu zu bringen, Partnerschaften abzubrechen oder Geschäfte einzustellen, mit denen sie nicht einverstanden sind.
Aufbau eines Wettbewerbsvorteils
Wenn Sie Ihre Arbeit und Richtlinien an ethischen Grundsätzen orientieren, kann Ihnen das einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Apple behauptet, durch einen ethischen Umgang mit Datenschutz und personenbezogenen Daten Vorteile zu haben. Das Unternehmen behauptet, dass es an personenbezogenen Daten nicht interessiert ist und dementsprechend keine sammelt. Diese Botschaft setzt Apple in Werbungen und Marketing als Wertversprechen ein und nutzt sie als Unterscheidungsmerkmal gegenüber Wettbewerbern – und legt letztlich die Macht in die Hände der Verbraucher.
Was Sie tun können
Hören Sie, was Ihr Team zu sagen hat
Ihre Designer, Entwickler und Analysten – ja sogar Ihre Partner in den Geschäftsbereichen Sales und Marketing – können wertvolle Erkenntnisse liefern und Ihre Prozesse unterstützen. Sie bringen ihre eigene Lebens- und Berufserfahrung mit, die einen Einfluss auf Features und Produkte haben können.
Wenn Sie am Einstellungsprozess beteiligt sind, setzen Sie immer auf Diversität. Fördern Sie eine offene und sichere Umgebung, in der Ideen wachsen können.
Weiterführende Ergebnisse verstehen
Dies könnte einer der schwierigsten umzusetzenden Punkte sein. Analysen und Nutzungsdaten liefern viele Informationen, darunter die Art, wie Nutzer Ihr Produkt verwenden, was sie damit tun und wie sie es tun. Analysen und Nutzungsdaten verraten Ihnen allerdings nicht, warum die Nutzer Ihr Produkt verwenden und zu welchem Ergebnis das geführt hat. Um diese Frage beantworten zu können, sollten Sie sich immer mit Feedback auseinandersetzen. Was ist positiv an Ihrem Produkt? Was ist negativ? Was können Sie dagegen unternehmen?
Kunden-Feedback und Bewertungen einbeziehen
Als Produktmanager erhalten Sie fast immer Feedback – es kann sogar passieren, dass weder Sie noch Ihr Gesprächspartner merken, dass es sich bei Ihrem Gespräch gerade um Feedback handelt. Hier zeigen sich individuelle Erfahrungen der Kunden. Hören Sie offen und aufrichtig zu – Sie haben nicht alle Antworten und müssen sie auch nicht sofort haben.
Diversität in den Prozess einbringen
Holen Sie sich am besten von vielfältigen Personengruppen Feedback während der Forschung, Planung, Erstellung und Überprüfung. Gerade bei Konsumgütern und Applikationen ist das besonders wichtig. Bringen Sie bei jedem Schritt Ihres Produktentwicklungsverfahrens einen großen Anteil an verschiedenen demografischen Daten bezüglich Kultur, Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Orientierung/Identität und Generation ein. So gewährleisten Sie, dass weder Vorurteil noch Ignoranz in Ihr Produkt einfließt. Sowohl Sie als auch Ihre Arbeit sind das Ergebnis Ihrer Lebenserfahrungen. Ein heterosexueller, weißer, körperlich nicht eingeschränkter Mann aus der Vorstadt hat andere Lebenserfahrungen als eine heterosexuelle, weiße Frau aus derselben Gegend. Eine schwarze Frau aus einem ländlichen Gebiet hat wiederum ganz andere Lebenserfahrungen wie auch eine gelähmte Person im Rollstuhl aus der Großstadt.
Jede Person entscheidet sich aufgrund ihrer Lebenserfahrungen für andere Produkte und verwendet sie unterschiedlich. Je mehr Diversität es in Ihrer Kunden-Feedback-Gruppe gibt, desto zugänglicher und praktischer kann Ihr Produkt sein. Sie können sogar einen Markt für neue Produkte entdecken. Microsoft entwickelte den Xbox Adaptive Controller, mit dem Spieler mit bestimmten Behinderungen Ihre Xbox-Spiele spielen können. Davon profitieren die Benutzer und das Unternehmen gleichermaßen. Microsoft konnte durch die Einführung des Produkts seinen Nutzerkreis erweitern.
Sollten Sie Schwierigkeiten bei der Zusammenstellung einer diversen Gruppe haben, hat Ihr Unternehmen vielleicht Mitarbeiter-Ressourcengruppen (ERGs), die Ihnen weiterhelfen können.
Ein großes Maß an Verantwortung und unzählige Möglichkeiten
Was können Sie also tun? Buchstäblich alles. Als Produktmanager sind Sie der Wächter und moralische Kompass. Sie sind für die Produkte verantwortlich, die Sie und Ihr Team erstellen. Diese Produkte sind eine Erweiterung und Kombination Ihrer persönlichen Merkmale, der Merkmale Ihres Unternehmens und der Welt allgemein. Die Tech-Ethik schreibt vor, Lösungen für Probleme zu finden, ohne neue Probleme für andere Nutzer zu schaffen.
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About the Authors
Product Manager
Mike Rastiello
Mike Rastiello has worked in the web technology space professionally for 15 years and first taught himself basic coding with an HTML for Dummies for book while still in high school with Notepad.exe, Internet Explorer, and a 56K modem. He has worked and managed projects large and small including websites, web applications, CRM integrations, API development, and more for local mom and pop small businesses to global and publicly traded companies. Currently, he is the Product Manager for Rackspace.com and oversees the product roadmap and development for the global marketing platform which runs entirely on Drupal. He lives in Austin with his wife.
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